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ONLINESAMMLUNG

Kunst und Klinik bei Egon Schiele und Erwin Osen

Verena Gamper, Kuratorin

Im Jahr 1910 zeichnete Egon Schiele (1890–1918) über Vermittlung des Gynäkologen Erwin von Graff (1878–1952) Neugeborene und Schwangere in der 2. Wiener Frauenklinik, fünf Jahre später war es sein Künstlerfreund Erwin Osen (1891–1970), der in der Nervenabteilung des Garnisonsspitals II am Rennweg unter dem Elektropathologen Stefan Jellinek (1871–1986) eine Reihe von dort kriegsbedingt behandelten Männern porträtierte. Entstehungshintergründe und Funktionen dieser in beiden Fällen nicht im Künstleratelier entstandenen Darstellungen von pathologischen oder pathologisierten, zumeist nackten Körpern unterscheiden sich zwar, doch sie legen Zeugnis ab über den ihnen zugrunde liegenden interdisziplinären Austausch zwischen Künstlern und Medizinern wie auch über deren Interaktion mit den Patient*innen. Die Zeichnungen machen jene „Klinische Moderne“ greifbar, die sich aus dem Spannungsfeld zwischen den jeweils der Erkundung des Körpers zugewandten künstlerischen und medizinischen Perspektiven ergibt: Denn über die Auseinandersetzung mit der Psyche hinausgehend, ist die Geschichte der Wiener Moderne auch ganz grundlegend eine Geschichte des Körpers, der von verschiedenen Wissensfeldern aus beforscht und reflektiert wurde.