Hockender weiblicher Akt, 1910

Nach einer Dominanz von männlichen (Selbst-)Akten zu Beginn des Jahres entsteht in der zweiten Jahreshälfte auch eine erste größere Anzahl an Aktdarstellungen von Frauen, wobei neben der jüngeren Schwester Gertrude vor allem zwei bisher nicht namentlich zu identifizierende Modell standen, eine davon für Hockender weiblicher Akt. Egon Schiele (1890–1918) bricht in den Aktdarstellungen dieser Zeit mit den geltenden Konventionen, wenn er die Nacktheit der Körper demonstrativ ungeschönt ins Bild setzt und auch vor Verkürzungen und Fragmentierungen nicht zurückschreckt. Von einer blendend weißen Kontur aurengleich umschlossen, wird der Rumpf in seiner sinnlichen wie verletzlichen Leiblichkeit noch stärker betont. Die Dargestellte erduldet den Blick nicht passiv sondern stellt ihn in seinem objektifizierenden Charakter bloß.
In der Gegenüberstellung mit männlichen Akten dieser Zeit wie beispielweise Selbstakt (/objekt/2461) wird augenfällig, dass Schiele in der Inszenierung der Geschlechter keinen Unterschied macht. Teilweise verwischt er auch die Grenzen und stellt eine gleichsam übergeschlechtliche Leiblichkeit in den Vordergrund.

VG, 2022