Trügerisch ist die Harmlosigkeit und Unschuld des Motivs. Mit der dichten Kohlezeichnung Puppe versucht Kopfstand von 1937 macht der aus Bregenz stammende Maler und Zeichner Rudolf Wacker (1893–1939) die Ambivalenz unserer Wahrnehmung sichtbar. Schlagartig wird die Imago eines Kleinkindes mit den putzigen Proportionen zur Projektionsfläche erotischer Begehrlichkeit und wir als Betrachter*innen geraten auf die Wahrnehmungsebene von Voyeur*innen. Die scheinbar zufällig entstandene, aber offen präsentierte Entblößung der Gliederpuppe gerät zur unangenehm berührenden Grenzüberschreitung. Schonungslos befasst sich der Künstler mit innerpsychischen Zuständen, eigenen Wünschen und Obsessionen. Wacker besaß eine Sammlung von Puppen. Er war fasziniert von der Spannung zwischen lebendiger Wirkung und Leblosigkeit, von ihrer Symbolhaftigkeit und von ihrer Tauglichkeit, als Gegenüber zu fungieren, das Emotionen hervorruft und scheinbar Gefühle verkörpert. In Wackers Schaffen werden Puppen zu Metaphern, zu Bedeutungsträgern einer Welt, die sich uns in ihrer Doppelbödigkeit darbietet.
Eingebracht in die Leopold Museum-Privatstiftung 1994
Literaturauswahl
Leopold Museum Wien. Österreichische Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. von Leopold Museum-Privatstiftung, München u.a. 2008.
Zwischen den Kriegen. Österreichische Künstler 1918–1938, hrsg. von Rudolf Leopold, Wien 2007 (Ausst.-Kat. Leopold Museum, Wien, 21.09.2007-28.01.2008).