Der Maler Richard Gerstl (1883–1908) greift auf einen akademischen Bildtypus zurück, um sich hier selbst darzustellen. Das Brustbild im Dreiviertel-Profil zeigt einen offiziell und seriös gekleideten jungen Mann. Markant sind die schmalen Schultern, die übertrieben schräg abfallen. Das rechte, asymmetrisch gestaltete Auge entwirft einen verstörenden, wilden Blick mit einem drohenden Funkeln. Da sein Oberkörper den Bildrand nicht anschneidet, entsteht eine gewisse Distanz, in der der Künstler schmal und in weiter Ferne steht. Der grüne Hintergrund wirkt hell erleuchtet, gleichzeitig betont der dunkle Schatten die Kontur des Gesichts. Das Experimentelle jedoch ist die Verwendung der Farbe. Der Künstler trägt sie trocken und pastos auf. Dabei überzieht eine feste Kruste das Gesicht, die Haut wirkt krank und angegriffen. Das ambivalente Erscheinungsbild in diesem Selbstporträt pendelt zwischen seriöser Aufmachung und individueller Verstörtheit.