Sitzender Frauenakt, o. D.

Entrückt, durchlässig und androgyn wirkt die Figur, die der Maler und Grafiker Karl Hofer (1878–1955) mit weichem Bleistiftstrich, fließender Kontur und der Betonung einzelner Details durch Verdichtung, kurzer Schraffur und Verwischung formuliert. Mit seiner undatierten Zeichnung Sitzender Frauenakt vermittelt Hofer einen Eindruck von seiner empathischen Annäherung an seine Figuren und der sensiblen Darstellung des Menschlichen. Mit überkreuzten Beinen und leicht zur Seite gedreht auf einem Stuhl sitzend, den Blick seitwärts in die Ferne gerichtet, wirkt die reduzierte Darstellung des ohrenlosen, rundlich-ovoiden Kopfes mit dem maskenhaft ausdruckslosen Gesicht entrückt, enthoben und aus der Zeit gefallen. Wie vielen seiner Menschendarstellungen haftet seinem sitzenden Akt etwas Metaphysisches an und steht für ein mythisches Menschenbild, das Hofer die Diffamierung als „dekadent“ und die Verfemung als „entarteter Künstler“ durch das nationalsozialistische Regime einbrachte.

MH, 2021