Arbeiterfrau (mit dem Ohrring), 1910

Kunst als Möglichkeit zu sozialem Engagement und politischer Stellungnahme – die aus Königsberg stammende Zeichnerin, Grafikerin und Malerin Käthe Kollwitz (1867–1945) macht mit ihren Darstellungen marginalisierter Menschen Ungerechtigkeit, soziale Ungleichheit und gesellschaftspolitische Verwerfungen sichtbar. Freudlos, illusionslos und hoffnungslos blickt die im Dreiviertelporträt dargestellte titelgebende Arbeiterfrau (mit dem Ohrring) von 1910 an uns Betrachter*innen vorbei ins Nichts. Die hohe Stirn, die geschwollenen Tränensäcke, die müden Augen und die verhärteten Gesichtszüge zeugen von den Entbehrungen eines von Kargheit, Verzicht und Überlebenskampf gezeichneten Lebens. Mit großer Könnerschaft lotete Kollwitz die Ausdrucksmöglichkeiten der unterschiedlichen Drucktechniken aus, souverän setzte sie die mit der Radiernadel gezogenen, ausgerissen wirkenden Konturen ein, um mit verdichteter Strichführung das von Leid gezeichnete Antlitz aus dem Dunkel herauszuschälen.

MH, 2021