Wien
Wien
Brief von Egon Schiele an Anton Peschka
12.05.1910
(Tulln 1890–1918 Wien)
(Wien 1885–1940 Wien)
Transkription:
[Geschrieben von anderer Hand:]
An Maler A. Peschka 1910.
Ich möchte fort von Wien, ganz bald. Wie häßlich
ist’s hier.
Alle Leute sind neidisch zu mir und hinter-
listig; ehemalige Kollegen schauen mit
falschen Augen auf mich, in Wien ist
Schatten, die Stadt ist schwarz, alles
heißt Rezept. Ich will allein sein.
Nach dem Böhmerwald möcht’ ich.
Mai, Juni, Juli, August, September,
Oktober; neues muß ich sehen und
will es forschen, will dunkle
Wasser kosten, krachende Bäume
wilde Lüfte sehen, will modrige
Gartenzäune staunend ansehen
wie all sie leben, junge Birken-
haine und zitternde Blätter
hören, will Licht, Sonne sehen
und nasse grünblaue Abendtäler
genießen, Goldfische glänzend
spüren, weiße Wolken bauen
sehen, Blumen, Blumen möcht
ich sprechen. Gräser, rosa Menschen
innig anschaun alte würdige
Kirchen kleine Dome sagen
wissen, will fortlaufen ohne
halt [!] auf runde Felder-
berge durch weite Ebenen
will küssen die Erde und
riechen warme Moosblumen,
dann werd ich formen so schön-
farbige Felder.
Früh morgens möcht ich
Sonne aufgehn
wiedersehen und atmende
Erde flimmernd ansehn dürfen.
Nun denn tätiger Mensch! ich!
seie immer ewiger Strom.
Du mir grünes Tal, du schaust
grüne Wasserluft füllt dich, du.
Ich weine, aus halben Augen
rote große Tränen, wenn ich
dich sehen kann. Du Schmerzauge;
du spürst den nassen Waldwind.
du Riechende, wie toll mußt so
du atmen göttlichen Atem.
Freund, weinend lach ich
Freund, ich denke Deiner
in mir bist Du.
Dort lag …. bis ich höre.
Kauf mir ein Tafelbild die [!] ich in die
Jagdausstellung geschickt habe,
so kurz sag’ ich daß, warum aber
anders, denn ich will so bald als
möglich frei sein alles drückt mich
[unleserlich]
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Privatsammlung Leopold, Wien; (1)
Leopold Museum-Privatstiftung, Wien (2023)
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