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ONLINESAMMLUNG

Brief von Adele Harms an Edith und Egon Schiele, 15.05.1916

Leopold Museum,
Wien
Leopold Museum,
Wien
Leopold Museum,
Wien
Tinte auf Papier
19,2×15 cm

Künstler*innen

  • Adele Harms

    (Wien 1890–1968 Wien)

  • Egon Schiele

    (Tulln 1890–1918 Wien)

Leider derzeit nicht ausgestellt

Transkription:

Wien 15. Mai 1916

Liebe Did [Edith] u. Eg. [Egon]! Dass euch das Wandern wieder bevorsteht dauert
Ihr mir sehr. Sobald wird doch die Veränderung dort nicht eintreffen;
ich hätte Euch doch noch gerne besucht. Schreib mir doch wie lange man
fährt, vielleicht komme ich dann sehr bald. Ich vermisse euch hier
doch so sehr!
Denke Dir Deine Jacke ist noch immer nicht gekommen! Dein H.[ut?] ist geän-
dert den Leinenhut habe ich gewaschen u. renoviert. Tabak u. Hülsen
sind besorgt ich warte nur auf dem [!] Schneider damit alles in einem
geht. Wenn es aber doch zu lange dauern sollte dann schicke ich den
Tabak seperat [!] weg. Was glaubst Du kann man es als Muster
ohne Wert das kostet 30 h. [Heller] draufgeben, sonst bezahle ich 72 h.
wozu der Post etwas schenken. Schreib mir wie Du darüber denkst!
Zwar übernimmt sie über M.[aterial] ohn.[e] Wertsendungen keine Verantwortung.
Weil wir schon bei den Zahlen sind so will ich Dir sagen dass Deine
Kasse bereits erschöpft ist.
Hier geht es sehr stürmisch zu. Vorige Woche waren Teu-
rungs Revolten. In Berlin soll das schon seit einem
halben Jahr so sein. – Aus Rudolfsheim u. Ottakring
kam das arme Volk über die Mariahilferstrasse und

wollte nach Schönbrunn; wurde aber von der Polizei und
Militar [!] davon abgehalten. Es soll sehr arg zugegangen sein.
In den Zeitungen war natürlich nichts davon zu lesen.
Mir ist das Ganze von Sturzl und Mayer erzählt wor-
den die zufällig Augenzeugen waren. Sturzl er-
zählt ohne Übertreibung dass Kinder laut um
Brot schrieen. Kein Wunder, man bekomt [!] hier
auch nur ein Halbes. Es ist schon wieder dieselbe
Not; und schmeckt furchtbar nach Mais. Eier be-
kommt man auch nirgends, der Consum gibt wenn er welche
hat auch nur 9 Stück. Es ist schon bald nich[t]
mehr schön! Ja noch etwas von der Revolte. Den
Del-Ka haben sie die Auslage eingeschlagen u.
geplündert. Im Nu waren alle Rollbalken auf
der Mariahilferstr. geschlossen. Am Rudolfsheimer Markt
haben sie die Buden demoliert. Oh ich verzeih
Ihnen diese Wut. Von nun an müssen
die Haustore in diesen Bezirken um 8h gesperrt werden
damit keine Wiederholungen stattfinden.
Jetzt weisst Du was das für eine Deputation
war. Die Mayer hätte beinahe einen Stein auf den

Kopf bekommen. Ich wollte mich eben auf offener Karte
nicht anders ausdrücken. Mayer erzählte mir unter anderem
dass sie gemalt wird und zwar von der Malerin die neben
Euch wohnt. Sie wundert sich darüber sehr dass sie Modell
stehen soll. Ich werde sie nächstens fragen wie es
eigentlich war. nachdem [!] sie angeblich nichts von lesbischer
L.[iebe] wissen will. Sie hat nämlich Verdacht darüber.
Da erinnere ich mich an unsere Mila, die hat gestern
mit ihrem Annchen nicht mehr Annerl den Jahres-
tag ihrer grossen Liebe gefeiert. Denkt Euch sie haben
zusammen geschlafen. Wie rührend! – Ich habe
einmal gelesen dass so etwas höchstens 1 Jahr dauert.
Also hat diese Abnormität auch ihre Ausnahme.
Ich möchte Dich gerne weil wir schon bei diesem Thema
sind nur etwas fragen. Liegt dieses gewisse Etwas
innen oder aussen. Schade dass Egons Anatomie
nicht da ist. Aus dem Lexikon werd ich nicht klug. Schreib
mir bitte darüber in die H.[ietzinger] Hauptstrasse 101. Ich
schicke Dir dafür nächstens feine Anekdoten.

Die Klexe [!] sind verdeckte F. [?] Flecke.

Was treibt Ihr eigentlich die ganze Zeit? Habt Ihr
schöne Tage. Hier ist wenig Sonne es regnet sehr häufig.
Meine Stimmung ist danach. Meine Hauptbeschäftigung
ist jetzt Einkaufen, ich lauf den ganzen vormittag [!]
oft herum oder kann warten und bekomm dann oft nichts.
Weisst Du was mir grosse Freude macht?
Ich hab mir meine Lenaus Gedichte und Enoch Arden zusammen
in einem Werkstättenleinen binden lassen, was sehr deko-
rativ aussieht. Und wenn ich Zeit habe dann blättere
ich und lese und schwelge und schmachte so den Frühling
dahin. Du kennst doch seine stimmungsvolle Art zu
singen. z. B . „Der Lenz hat Rosen angezündet an Leuchtern
von Smaragd im Dom und jede Seele schwillt und mündet
hinüber in den Opferstrom.“ Ich glaube Weingartner hat
es vertont. – Did, vermisst Du mich sehr …
Weisst Du wer mich verfolgt ausser … Die Frau Ehren-
reich samt Tochter. Sie ist entzückt von mir und will
durchaus das ich sie besuche. Was meinst Du soll ichs [!]
tun; wenn mans [!] einmal annimmt, ist man dann gebunden.
Nun, lebt wohl und schreibt recht viel Eurer
A [Adele]

Objektdaten

Künstler*in​/Autor*in
  • Absenderin: Adele Harms
  • Empfänger: Egon Schiele
Titel
Brief von Adele Harms an Edith und Egon Schiele
Datierung
15.05.1916
Kategorie
Autograf
Material​/Technik
Tinte auf Papier
Maße
19,2×15 cm
Nennung
Leopold Museum, Wien, Inv. 7571
Inventar­zugang
Neuzugang 2023
Werk­verzeichnis
  • ESDA ID 2807
Schlag­wörter
Egon Schiele
Datenbank der Autografen

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Provenienz

Provenienzforschung
im Leopold Museum i

Privatsammlung Leopold, Wien; (1)
Leopold Museum-Privatstiftung, Wien (2023)

  1. Archiv des Leopold Museums, Rechnung Nr. 01-2023 vom 18.04.2023

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