Brief von Friedrich Viktor Spitzer an Marie Schiele, 04.11.1918

Transkription:

Wien 4/11 18
XIX Steinfeldg[asse] 11.

Geehrte Frau Schiele!
Nehmen Sie für sich & Ihre Fa-
milie den Ausdruck meines
innigen Beileids wegen des Ab-
lebens Ihres Sohnes entgegen.
Ich habe erst heute Ihre Trauer-
anzeige erhalten u. konnte, da
mir der Zeitpunkt der Beer-
digung nicht bekannt war,
an derselben nicht theilnehmen.
Ich habe Ihren Sohn als Mensch
u. Künstler sehr geschätzt &
dessen Hienscheiden [!] geht mir
nahe. Er war als Künstler
vielversprechend u. die Mit-
welt muss es sehr beklagen,
dass er mitten aus seinem
Schaffen der Kunst so

früh entrissen wurde.
Verzeihen Sie wenn ich rein aus
Anhänglichkeit u. Pietät
für den Dahingeschiedenen
mich mit einer Bitte an
Sie wende. Als mich Ihr
Sohn vor einigen Monaten
besuchte, sah er die von mir
ausgeführten Heliogravuren
meiner Klimtaufnahmen u.
machte mir den Vorschlag,
dass ich ihm 2 Exemplare
davon überlasse, wogegen
er mir eine seiner Zeichnun-
gen als Andenken unserer
künstlerischen Beziehungen
geben wolle. Er schrieb mir

als ich ihm die gewünschten Blät-
ter sandte, dass er sie erhalten
hat u. mir sobald er nach seiner
Übersiedlung in Ordnung kommt,
mir persönlich eine Zeichnung
bringen will. Seitdem war ich
in Russland, von wo ich
erst im Oktober zurückgekehrt
bin. Wollen Sie so gut sein
zu veranlassen, dass mir als
werte Erinnerung ein solches
Blatt zukommt? Eine Skizze
von seiner Frau o.[der] von sich
selbst wäre mir besonders wert.
Sie wissen wohl, dass ich von
ihm ein gelungenes Bildniss [!]
ausgeführt habe. Sollte es
Ihnen o. behufs einer Veröf-

fentlichung erwünscht sein, so
stehe ich gerne zu Diensten.
Ich empfehle mich Ihnen
Hochachtend
Dr. F. V. [Friedrich Viktor] Spitzer

[Kuvert:]
Frau Marie Schiele
Wien [durchgestrichen: XIII
Hietzinger Hauptstr. 114]
[geschrieben von anderer Hand:]
VI
Gfrornergasse 7

Abs: Dr. F. V. Spitzer Wien XIX Steinfeldg. 4.