Der italienische Bildhauer Medardo Rosso (1858–1928), der ab 1889 permanent in Paris lebte und dort zum Konkurrenten Auguste Rodins (1840–1917) avancierte, rang während der Jahrhundertwende um eine radikale optische Neudefinition der Skulptur. Im Zeichen der „liquiden“ Moderne entworfen, erscheinen seine Werke, die er unter minutiöser Lichtregie arrangierte, wie flüchtige Schilderungen aus dem unendlichen Fluss ästhetischer Phänomene. Dafür griff Rosso auf bislang kunstunwürdige, nur für Modelle verwendete Werkstoffe wie Wachs zurück und verzichtete teilweise auf den Sockel als Grenze zwischen Bild- und Realraum. So auch im Falle von Femme à la voilette (Frau mit dem Schleier), ca. 1892–97, das am Beginn einer Reihe von Schilderungen des Pariser Straßenlebens steht. Rosso führt den Menschen hier als Erscheinenden vor, dessen Form sich aus einem bewegt wirkenden Material herausbildet, um sich schon im nächsten Moment wieder in ihm zu verlieren.