Wie auch die anderen Porträts von Patienten fertigte Erwin Osen (1891–1970) auch diese Zeichnung im Frühjahr 1915 in der Nervenabteilung des Garnisonsspitals II an, in dem er selbst mit der Diagnose „chronische Neurasthenie“ über mehrere Wochen stationär behandelt wurde. Dabei stand die Diagnose Neurasthenie bzw. „Nervenschwäche“ häufig im Zusammenhang mit Diskursen über die Verweichlichung von Männern, die im Rahmen des Ersten Weltkrieges mit der Verbindung von Nervenstärke und heterosexueller Männlichkeit noch verstärkt wurde. Armeen versuchten, im Kontext von Militarisierung und Nationalinteresse eine „maskuline“ sexuelle Identität durchzusetzen – Homosexualität oder Transsexualität wurden nicht toleriert. Wir kennen den Namen dieses Soldaten nicht, den Osen als
Lustknaben dargestellt und bezeichnet hat, doch seine (Selbst-)Inszenierung lässt darauf schließen, dass er von der Armee ausgeschlossen, pathologisiert und als „invertiert“ behandelt wurde.
Ähnlich wie im
Porträt eines Patienten mit schwarzem Umhang belässt es Osen nicht bei der Tilgung des klinischen Milieus, er ersetzt es durch eine prächtige Anhäufung leuchtend bunter Kissen, was die Krankenhausumgebung in etwas gänzlich anderes – etwas Queeres verwandelt. Ohne den Entstehungshintergrund letztgültig klären zu können, bot der
Lustknabe jedenfalls Gelegenheit für eine völlig andere, experimentellere Antwort auf Fragen des Patientenporträts. Mit ihrer bühnenhaften Inszenierung, ihren Farben, ihren Brüchen und Ambivalenzen widersetzt sich die Zeichnung dem allumfassenden Regime der Klinik, die ihr Entstehen erst ermöglichte.
VG, 2022