Wien
Wien
Brief von Egon Schiele an Leopold Czihaczek
01.09.1911
(Tulln 1890–1918 Wien)
(1842–1929)
Transkription:
1. September 1911.
Lieber O.C. [Onkel Czihaczek] ich bin nach Neulengb.[ach] gekommen um immer
hier zu bleiben, meine Absichten sind große Werke
zu vollführen, wozu ich ruhig arbeiten muß. das
war in Wien unmöglich; je mehr man mit der
Öffentlichkeit zu tun hat, desto schwieriger wird es.
– Alles von meiner Hand, sei es gemalt, ge-
zeichnet oder geschrieben, was ich in den letzten
zwei oder drei Jahren herausgabte [!], soll ein Hin-
weis auf das „Kommende“ sein. Ich habe bisher
gegeben und jetzt bin ich dadurch so reich daß ich
mich fortschenken muß. – Wenn dem Künstler seine
Kunst am liebsten ist, so muß er auch den besten
Freund lassen können. – Warum ich ausgeblieben
bin, bei Euch, es wird unrecht gedeutet, das weiß
ich, und Ihr werdet glauben daß ich trotzig war,
allerdings, ich trotze gegen alle Arten von
Anstürmen des Lebens. – Ich habe die Sucht alles
zu erleben, dazu muß ich allein sein, ich darf
nicht verweichlicht werden, mein Organismus ist herb,
meine Gedankenwelt nur führend. – Einiges
hab ich doch schon erreicht, unter anderem sind Bilder
von mir im Museum Folkwang in Haag [Hagen]
Westfalen, bei Cassierer [Cassirer] in Berlin u.s.w.
was mich aber kühl laßt. – Ich weiß daß
ich mich künstlerisch kollosal [!] entwickelt habe,
ich habe erlebt und erlebt, gebaut, ununterbrochen
gekämpft gegen das „Geschäft“ mit der Kunst.
Ich bin froh, daß ich einen großen Härtegrad
erworben habe. – Die Art, wie ich von Euch
fort bin, ist vollkommen organisch und war vorbe-
reitet; und jetzt bin ich absolut nicht gekommen
um vom neuen [!] zu beginnen; ich will nur daß
Ihr mein Ausbleiben seit 1 1/2 Jahren nicht als
eitel ansehn sollt. – Jemand wollte in einen [!]
Kafehaus [!] eine Karte von mir oder meinen Namen;
ich erwiderte daß eine Audienz bei mir 300 K [Kronen]
koste; also erschrak er vor meiner Intelligenz;
das war Stolz, reiner Stolz. Soweit ich Psychologie
an „Wirklichen“ erfahren habe weiß ich, daß:
Kleine eitel sind, daß Kleine zu klein sind um
stolz sein zu können und daß Große zu groß
sind um eitel sein zu können. – Also gibt es
Herrchen, Herrlein und Herrn, aber, – meine
Herrlichkeit ist mir am wertesten. – Darunter
einige Aphorismen von mir:
Solange es Elemente gibt wird auch der vollkommene
Tod nicht möglich sein.
Wer nicht durstig ist nach Kunst, der ist seiner Degeneration nahe.
Nur Beschränkte lachen über die Wirkung eines Kunstwerkes.
Seht wenn ihr könnt, – in ein Kunstwerk!
Das Kunstwerk ist unbezahlbar, es kann erworben
werden.
Es ist sicher daß Große, im Grund genommen
gute Menschen waren.
Es freut mich, daß es so Wenige gibt die Kunst
wittern. – das deutet immer wieder auf das
Göttliche in der Kunst.
Künstler werden immer leben.
Ich glaube immer daß die größten Maler Figuren
malten.
Ich weiß daß es keine moderne Kunst gibt,
sondern nur eine, – die immerwährend ist.
Wer verlangt, daß ihm ein Kunstwerk er-
klärt werden soll, dem soll nicht Folge geleistet
werden, er ist dazu zu beschränkt.
Ich male das Licht welches aus allen Körpern
kommt.
Auch das erotischeste Kunstwerk hat Heiligkeit!
Ich werde soweit kommen, daß man erschrecken wird,
vor der Größe eines jeden meiner „lebendigen“ Werke.
Der wirkliche Kunstliebhaber muß die Sucht haben, das
älteste und das neueste Kunstwerk besitzen zu können.
Ein einziges „lebendiges“ Kunstwerk genügt für die
Unsterblichkeit eines Künstlers.
Künstler sind so reich, daß sie sich fortschenken müssen.
Kunst kann nicht angewandt werden.
Meine Bilder müssen in tempelartige Gebäude
gestellt werden.
Egon Schiele.
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Auktion: 22.06.2010, Im Kinsky Wien, 79. Kunstauktion, Klassische Moderne, Los Nr. 31
Leopold Museum-Privatstiftung, Wien (seit 2010); (1)
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