Wien
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Tagebucheintrag von Egon Schiele
26.08.1915
(Tulln 1890–1918 Wien)
Transkription:
Es ist der 26. August 1915. ich bin im
Kriegsgefangenenlager No. 16. auf
der Hütteldorferstraße 188. und
sitze auf den Bänken und Lehnstühlen
im Offiziersgarten vor der Kaserne.
Um mich ist der heiße Sommer
und der wolkenlose Himmel über
mir, vor mir sind Blumenbeete –
wo Rosen im Verblühen sind. –
Im Kasernengebäude hört man die
Schreibmaschine und draußen,
über den [!] bretterverschalten Eisen-
zaun ist die offene freie
Straße. – Was soll ich tun – es
wurde mir geraten daß ich mich
operieren lassen soll – die
Blinddarmreizungen kommen wieder.
das weiß ich. – aber hier ganz
allein bleiben, – wo mich die
große Sehnsucht in die Freiheit
treibt – was nütze ich dem Staat?
– Mein Kollege Fürth war auch
hier, er ist sicher ein Simulant
und ein überflüssiger Mensch –
ihm tut dies faule herum sitzen
und liegen gut – er will immer
essen und denkt an nichts weiter.
– Wenn ich hinauf gehe in’s Spital,
so sehe ich vom 2. Stockwerk aus
auf die Hietzinger Hauptstraße,
dorthin wo meine Werkstatt und
||
meine Edith ist – gestern bekam
ich Ausgang von 2–7h – wie
schnell war die Zeit vergangen
und wie stumpfsinnig muß man
hier bleiben u. diese langen
Stunden vergehn nicht. – Wie geduldig
ich bin, – seit 21. Juni an muß
ich das tun, was Soldaten wollen,
die Uniform? – ich verlebte die
unvergesslichen gequälten Tage
von Prag, wo wir Einberufenen
wie die Schwerverbrecher einge-
sperrt waren. – Die Tschechen werde
ich nicht vergessen – Prag war
schön vom 18.–21. Juni 8h früh.
am 17. Juni heirateten wir doch
erst. Welche Qualen der Krieg
der Freiheit und den fühlenden
Menschen bringt ist vielleicht am
erbärmlichsten, – es ist aber bestimmt
und ich habe die Hoffnung nie
aufgegeben, – haben doch auch
die Tage von Prag ihr Ende
gehabt, wo ich mit Diderle [Edith] beim
Gitter reden konnte und nach
8 Tagen es war ein Sonntag
in einen Lastzug verschickt
wurde wohin ich nicht wußte.
– Wir mußten auf alles
vorbereitet sein und daher
verabredeten wir, daß ich von
dem Orte wo wir bleiben
sofort telegraphieren werde. –
Diderle wohnte zuerst im Hotel
Paris und dann im Hotel Wien
in Prag. Sie unterhielt sich
vielleicht in der Zeit wo ich nicht
fortkonnte zeitweise, doch damals
waren wir noch nicht so nahe
wie es heute ist, (denn sonst
hätte sie nicht Einladungen an-
genommen,) – das kränkte mich
damals obwohl ich ihr gerne
Zerstreuung vergönnt hätte.
– Aber die Stunden wo ich sie
nicht sehen konnte waren mir
lange. – Das ist der Schmerz der
Welt. – In Neuhaus waren
wir in den Scheunen, es bleibt
unvergesslich. Sofort telegraphierte
ich dem Diderle und sie kam nach
einem Tag in Neuhaus an –
wie groß war die Freude als wir
zusammen waren und wie groß
die Freude als ich dann täglich
bei ihr war. Nach langen
hin und her kamen wir gottlob
nach Wien, es kam mir ganz
unwirklich vor Wien sobald
wieder zu sehen Ende Juli kamen
wir am Franz Josef-Bahnhof an.
In Neuhaus war Diderle um 11h
vormittags am Bahnhof – sie
blieb dort und wir wußten wieder
nicht wie lange wir uns nicht sehen
werden. – Sie kam Freitag d.[en] 30. Juli?
ich war in C. [Civil] am Bahnhof und wir
gingen vis à vis Abendessen. – ich
erzählte wo unsere Abteilung ist
und wir mußten mit dem Bißchen
Besserung glücklich sein – denn
wir waren doch wieder beisammen
und in Wien und ich konnte endlich
zu Hause schlafen. Nun bin ich
seit 11. August 4 h nachmittags
krank – vorerst war ich zu
Hause von 11. August bis 23. August
10 h vormittags. Wir verlebten
schöne Stunden zu Hause und ich
konnte ein Bild nämlich das Porträt
von Diderle lebensgroß fast fertig
machen. Seit der Zeit sitze und
liege ich in diesem Spital unter
den Schwerverletzten – was
soll geschehen mit mir – wie
lange werde ich noch hier bleiben?
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Arthur Stemmer, Wien / London (vor 1938-1954);
Walter Neurath, London (ab 1954);
Marlborough Galerie, London (1964);
Dr. Rudolf Leopold, Wien (1964-1994); (1)
Leopold Museum-Privatstiftung, Wien (1994)
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