Egon Schiele (1890–1918) malte dieses wohl bekannteste Bildnis seiner langjährigen Partnerin Wally Neuzil (1894–1917) als Gegenstück zu seinem „Selbstbildnis mit Lampionfrüchten“. Das als Querformat komponierte Brustporträt zeigt Neuzil mit leicht gesenktem Kopf, rotblondem Haar und übergroßen strahlend blauen Augen, die ernst aus dem Bild blicken. Durch die Orientierung an geometrischen Grundformen und den stimmigen Farbklang werden Spannung und Ruhe souverän austariert. Das Porträt strahlt Intimität und zärtliche Hinwendung aus und legt damit Zeugnis ab von der engen Bindung zwischen den beiden Liebenden. Bis ins Frühjahr 1915 standen Schiele und Neuzil miteinander in Kontakt, wobei sich der Künstler bereits 1914 seiner späteren Ehefrau Edith Harms (1893–1918) zugewandt hatte. Gegenüber den späteren Ganzkörperporträts seiner Frau, etwa Edith Schiele in gestreiftem Kleid, sitzend von 1915, fällt im Bildnis Wally Neuzil das intime Format ins Auge, mit dem Schiele seine Partnerin zum Greifen nah ins Bild setzt. Das Querformat betont zudem die Aufeinanderbezogenheit der als Pendants konzipierten Gemälde und damit der beiden Dargestellten, deren ausgedrückte Emotionen sich szenisch komplementieren.
VG, 2022
Zusatztext gemäß Vergleich, Juli 2010:
« Egon Schieles Gemälde Bildnis Wally Neuzil war persönliches Eigentum von Lea Bondi Jaray (1880–1969), jüdischer Kunsthändlerin und Eigentümerin der Galerie Würthle in Wien. Nach der erzwungenen Übergabe der Galerie an Friedrich Welz im April 1938 floh sie 1939 vor den Nationalsozialisten nach London. Das Gemälde war 1998 bis 2010 Gegenstand eines Gerichtsverfahrens in New York City, nachdem es das Leopold Museum 1997 als Teil einer Ausstellung von Schieles Werken aus der Sammlung des Leopold Museum dem Museum of Modern Art in New York geliehen hatte. Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika strengte 1999 eine zivilrechtliche Einziehungsklage in New York mit der Begründung an, dass das Gemälde Lea Bondi Jaray vom Kunsthändler Friedrich Welz während des nationalsozialistischen Regimes gestohlen und 1997 unter Verletzung von US-Recht vom Leopold Museum in die USA eingeführt worden sei. Der Nachlass von Lea Bondi Jaray machte im Rahmen des Verfahrens einen Anspruch auf das Gemälde geltend. Die US-Regierung erklärte sich damit einverstanden, dass sie nach Einziehung des Gemäldes alle Eigentumsrechte hieran an den Nachlass von Lea Bondi Jaray übertragen werde.
Auf Grundlage des vorgelegten Beweismaterials kam die Lokalabteilung des Bundesgerichts (United States District Court) in New York 2009 zu dem Schluss, dass das Gemälde persönliches Eigentum von Lea Bondi Jaray gewesen sei, und dass Friedrich Welz, der ein Mitglied der NSDAP und Kollaborateur des NS-Regimes war, sich das Werk in den späten 1930er-Jahren widerrechtlich angeeignet habe, nachdem er im Zuge der „Arisierung“ die Kunsthandlung Würthle von Lea Bondi Jaray übernommen hatte. Das Gericht stellte des weiteren fest, dass das Bildnis Wally Neuzil nach dem Krieg zusammen mit anderen Gemälden, die Friedrich Welz von Heinrich Rieger – einem jüdischen Kunstsammler, der 1942 im KZ Theresienstadt ermordet wurde - erhalten hatte, durch die US-Streitkräfte in Österreich konfisziert und 1947 an das österreichische Bundesdenkmalamt (BDA) übergeben worden war. 1950 händigte das Bundesdenkmalamt Kunstwerke an einen Vertreter der Erben nach Heinrich Rieger aus, darunter auch das Bildnis Wally Neuzil. Noch im selben Jahr verkauften die Erben nach Heinrich Rieger ihre Werke an die Österreichische Galerie („Belvedere“), wobei das Bildnis Wally Neuzil Teil davon war. 1954 erwarb Rudolf Leopold das Gemälde vom Belvedere. 1994 brachte er es in die Leopold Museum-Privatstiftung ein.
Nach der gerichtlichen Feststellung dieser Sachverhalte wurde die Causa schließlich 2010 von der US-Regierung, dem Nachlass von Lea Bondi Jaray und dem Leopold Museum endgültig beigelegt. Das Leopold Museum erklärte sich bereit, dem Nachlass von Lea Bondi Jaray einen erheblichen Betrag zu bezahlen. Im Gegenzug verpflichtete sich der Nachlass von Lea Bondi Jaray, den Besitzanspruch auf das Gemälde zugunsten des Leopold Museum aufzugeben. Die US-Regierung verpflichtete sich, die Einziehungsklage zurückzuziehen und das Gemälde an das Leopold Museum freizugeben. »