Die Darstellung seines Schreibtischs stellt als Stillleben eine Besonderheit in Egon Schieles (1890–1918) Œuvre dar. Stilistische Gründe sprechen für eine Entstehung des Werks ab 1914, der in rot gesetzten Datierung zufolge dürfte der Künstler jedoch bis 1916 daran gearbeitet haben. Den Schreibtisch klappt er dermaßen in die Fläche, dass sich die darauf befindlichen Bücher senkrecht übereinandertürmen. Daneben sind mit einem Messingleuchter, einem Tintenfässchen, Stiften und einer Löschwiege weitere Utensilien zu sehen. Bekrönt wird dieses Selbstporträt der anderen Art von zwei geschnitzten Holzpferdchen aus Schieles Volkskunstsammlung – eines davon,
Spielzeugpferd, befindet sich heute in der Sammlung des Leopold Museum. Der Vorhang entlang der linken Bildkante, der mit seinem Streifenmuster den Hell-Dunkel-Rhythmus des Schreibtischs aufgreift, begegnet uns als Kleidungsstück von Schieles Frau wieder, so in
Edith Schiele in gestreiftem Kleid, sitzend aus dem Jahr 1915.
Der Bildträger dieses Gemäldes ist insofern ungewöhnlich, als dass Schiele dabei auf zwei vernähte Leinwandstücke zurückgreift, von denen der größere Teil bereits für ein Gemälde verwendet worden war. Durch die rückseitige Bemalung blieb das Frühwerk
Jünglingshalbakt (Selbstdarstellung) erhalten, das aufgrund der partiellen Verwendung von metallischen Farben gegen Ende 1909 datiert werden kann und zu der sich auch mit
Knabenakt mit grauem Hemd (Selbstdarstellung) eine damit in Zusammenhang stehende Zeichnung erhalten hat. Höchstwahrscheinlich handelt es sich bei dem Leinwandbild um jenes Werk, das Schiele im Rahmen der ersten Ausstellung der von ihm kurz zuvor mitgegründeten Neukunstgruppe im Dezember 1909 im Kunstsalon Pisko in Wien unter dem Titel
„Siecher“ präsentiert hatte, wofür zeitgenössische Beschreibungen des Bildes sprechen. Warum er das Frühwerk zugunsten des Schreibtischstillebens verwarf, kann nicht geklärt werden, stellt jedoch innerhalb der künstlerischen Praxis Schieles keine Seltenheit dar.
VG, 2022