Wien
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Brief von Egon Schiele an Karl Ernst Osthaus
09.05.1912
(Tulln 1890–1918 Wien)
(Hagen 1874–1921 Meran)
Transkription:
9. Mai 1912.
Geehrter Herr O. [Osthaus] Sie haben keine
Ahnung was mit mir in letzter
Zeit vorgegangen ist. – Ich war
angeklagt und war in Untersuchungs-
haft 24 Tage lang, weil bei mir
ein Wachtmeister 125 Zeichnungen
nackter Personen gefunden hat
und diese als obszön erklärt hat
und beschlagnahmt hat; ich wurde
einfach verhaftet, Untersuchungshaft.
Man hat erklärt daß bei mir Kinder
gewesen waren die ich in den Kleidern
gezeichnet habe, und die, eine von
den Zeichnungen welche bei mir
aufgehängt war gesehen haben
hätten. – Ich habe vegetiert und
lernte die Gefängnisse kennen,
glaubte endlich nicht mehr an
die Freiheit, mein Kummer
ist unvorstellbar gewesen, ich
bin innerlich so ruiniert. Ich lebte
am Land wie Sie vielleicht wissen
werden, ich war innig verbunden
mit der Natur in Neulengbach. Es
ist mir aber so ekelhaft geworden
so tot, so transparent. – Es ist
darum höchst nötig daß ich mich,
ich bin nicht eigennützig, erhole
ich habe noch schöne Hoffnungen und
das macht ein Leben aus. – Mir
fehlen natürlich die nötigen Mittel,
und ich weiß nicht ob Sie für mich
einige 100 MK [Mark] riskieren wollen
so daß ich auf 3 oder 4 Monate
nach Kärnten, wohin es mich zieht,
sofort fahren kann. – Denken Sie
absolut nicht daß ich unedles beabsichtige,
wenn sie nur wüßten! Aber. –
Von Kaufen will ich nichts hören, von
Bilder kaufen, das klingt ziemlich roh.
– Wir tauschen! – Sie haben doch das
nötige Geld und ich gebe Ihnen Bilder,
wir tauschen. Kein Preis, nichts.
Verstehen Sie mich? Also vielleicht
ermöglichen Sie mir daß ich in den
nächsten Tagen fortfahre.
Beste Grüße
Egon Schiele
z.z. [zur Zeit] Wien XII. Rosenhügelstr. 9.
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Karl Ernst Osthaus, Hagen (bis 1921);
Erb*innen nach Karl Ernst Osthaus (1921 bis vermutlich 1997);
Auktion: 26.11.1997, Antiquariat J. A. Stargardt, Berlin, Autographen aus allen Gebieten, Los Nr. 707; (1)
Leopold Museum-Privatstiftung, Wien (1997); (2)
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