Dies ist die vollständige Transkription des Briefes, der aus zwei Blättern besteht.
Dienstag, 29. Juni 1915.
Mein liebes gutes Diterle [Edith Schiele], seit Sonntag sind
wir also hier. wir kamen um 10h nachts
an und wurden von Soldaten durch die
Finsternis geführt. Wir sind in den Scheunen
am Teich einquartiert und zwar sind wir
einj. freiw. [einjährig Freiwillige] allein und schlafen auf
Strohsäcken. – Wenn Du hieher [!] kommen willst
bei diesem Wetter so mußt Du Dich am
linken Ufer des Teiches halten, an der
Straße stehen diese Scheunen, in der
ersten links, wo der Adler oben ist
und die Hühnersteigstiege hinauf-
führt wohne ich. Gestern, Montag abends
bekamen wir die erarischen [!] Uniformen,
– alles ist elend und ich werde Dir
erzählen wenn wir uns wieder nahe sind.
Gleich Montag früh gab ich ein Telegramm
durch einen Soldaten auf, daß wir in
Neuhaus sind, daß Du über Wesely fahren
sollst und daß wir in den Scheunen
am Waigar (der Teich) auf der
Straße gegen Heinrichsschlag wohnen.
nachmittags brach ich auf eigene Faust
und Gefahr in die Stadt aus, – gab
selbst ein Telegramm auf welches viel
ausführlicher war. Und heute (Dienstag)
morgens als wir schon Uniform an
hatten ging ich einfach wieder ruhig
mit meinen zwei Schlafkollegen in die
Stadt – ich mußte natürlich salutieren
ohne daß ich es gelernt hatte, – niemand
wußte davon. Ein Oberst, fragte
uns in der Stadt woher wir sind –
alles werde ich erzählen. Endlich war
ich im Bad und beim Rathaus und um
10.26 vormittags – also heute Dienst.
glaubte ich Du würdest mit diesen
Zug von Prag kommen. Im Hotel
Central erkundigte ich mich um
Dich und gab von mir eine Visitkarte
ab, (dem Hotelier) und ersuchte ihn,
daß er seinem Kutscher den
Auftrag geben soll am Bahnhof
den Namen Schiele auszurufen und
Dich in den Hotelomnibus mitzunehmen –
ich sagte daß ich noch heute abends
ins Hotel kommen würde. – Da
wir aber betreffs unseres Ausbruchs
in die Stadt von hier einen An-
stand hatten so kann ich heute
nicht kommen, d.h. [das heißt] – es darf
bevor man nicht salutieren kann nicht
in die Stadt. unser Leutnant sprach
so daß wir aber morgen Mittwoch
in die Stadt gehen können. – wenn
dies der Fall ist, so komme ich mor-
gen Mittwoch ab 5h nachmittags
in’s Hotel Central darum bleibe
zu hause. – wenn Du aber morgen
Mittwoch vormittags oder bis 5h
Lust hast und das Wetter es er-
laubt, so besuche mich Du brauchst
nur bei der schon geschilderten
Scheune um mich zu fragen oder
sehe ich Dich früher – ich würde mich
unendlich freuen Dich wieder zu
sehen und zu wissen, wo Du bist.
– Das eine aber kann ich jetzt
schon sagen, meine sogenannten
Kollegen, sind für meine Bedürfnisse
aber schon furchtbar blöd und
stumpfsinnig. – ich sende jetzt
durch einen Boten diesen Brief
an Dich und bitte Dich wenn
Du ihn gelesen hast und Du im Hotel
Central bleibst mir I. das [!] No.
Deines Zimmers anzugeben,
II. mir zu schreiben ob und wann
Du eventuell morgen herkönntest.
III. Könntest Du, wenn Du einen
Schirm hättest mit den [!] Boten
herkommen. – oder
IV. schreibe mir was Du zu
tun vor hast.
Herzlichste Bussi „Dein“ Egon